Bei mir gegenüber

Bei mir gegenüber wohnen zwei Schwule, die sind aber eigentlich ganz nett.

Ein Bekannter hat mir neulich erzählt, es sei jetzt bekannt geworden, dass einer seiner Arbeitskollegen HIV-positiv wäre. Eine völlig uninteressante Information, schließlich sind wir alle aufgeklärt, wir wissen um die Übertragungswege des Virus, wir wissen alles über Gleichstellung, wir wissen aber auch um die Benachteiligung, die noch immer stattfindet, manchmal offensichtlich, manchmal versteckt, manchmal fast unbemerkt – und dennoch ertappe ich mich bei dem Gedanken, meinen Bekannten fragen zu wollen, ob sein Arbeitskollege denn schwul sei. In meiner komplett substanzlosen Arroganz halte ich mich dabei auch noch für einen unvoreingenommenen Menschen.

Nun sehe ich zwar aus wie Leonardo DiCaprio, dennoch glaube ich nicht, dass ich von jedem Schwulen sofort mit Liebesgedichten umgarnt, direkt geküsst und umgehend vernascht werde. Der bierbäuchige Kleingeist auf der Straße, der seit Jahren von keiner Frau auch nur angeschaut wurde, glaubt das aber schon, bringt einen Spruch aus der Bibel, den er vor Jahren per Flüsterpost irgendwo gehört hat, und wettert lauthals auf der Straße gegen Homosexualität, diese verachtenswerte Laune der Natur, diese Krankheit, die der Heilung bedarf, diese Provokation durch bloße Existenz.

Bei mir gegenüber wohnen zwei Schwule.

In Baden-Württemberg schart ein Lehrer eine aufgebrachte Menge um die Moral unserer Jüngsten besorgter Menschen um sich, die fordern, dass sogenannte alternative Lebensentwürfe an der Schule nicht unterrichtet werden dürften, da dies den Schülern (Denkt doch mal an die Kinder!) ein falsches Bild der Welt vermittle. Unterstützung erfährt er aus den Reihen des Bürgertums, der urchristlichen Gemeinschaften und – natürlich – von rechts.

Das so häufig gelobte und geforderte traditionelle Familienbild ist kein schlechtes. Papa, Mama, Kind finde ich gut. Nicht so gut finde ich allerdings saufender Papa, missbrauchte Mama und verängstigtes, verwahrlostes und psychisch völlig ruiniertes Kind. Aber liebevoller Papa, noch ein liebevoller Papa, glückliches Kind gefällt mir. Sich den Arsch aufreißende und trotzdem noch Zeit für ihr wunderbares Kind findende Mama ist für mich okay. Besser gefällt mir allerdings: Liebevoll viel Zeit mit ihrem wunderbaren Kind verbringende und trotzdem noch etwas Muße für ihren Beruf findende und auch vom Staat Unterstützung bekommende Mama. Oder Mamas, die zusammen durch dick und dünn gehen, akzeptiert, unterstützt, gesetzlich bestärkt.

Bei mir gegenüber wohnen zwei… äh… Homosexuelle.

Man mag es kaum glauben, aber ich hatte an der Uni mehrere Hauptseminare in gender studies belegt (und, man fasst es nicht, sogar Scheine geschrieben). Eventuell kann man sich vorstellen, dass ich mir durch meine große Klappe und meinen, nun ja, sagen wir: provokanten Humor nicht nur Freunde gemacht habe. Beziehungsweise FreundInnen. Oder Freundx. Freundx. Oje.

Ich habe gelernt, dass wir alle besonders sind, dass wir alle unterschiedlich sind, und gleichzeitig sind wir alle gleich. Nicht gelernt habe ich allerdings, was das alles bedeuten soll.

Manche Frauen lieben Frauen, und manche Transen haben einen Penis (Hihihi, er hat Penis gesagt!), manche Heten sind Männer und manche wären gerne Frauen, sind aber Männer im Körper einer Transsexuellen. Manche Frauen sind kluge Nichtfestgelegte, manche Männer fühlen sich von Männern angezogen, die mal Frauen waren, und manche Frauen möchten nicht Frauen genannt werden. Manche Männer möchten Männer genannt werden und manche denken, sie seien dicke Transfrauen, sind aber hässliche Männer und freuen sich, wenn man sie they nennt. Manche Frauen heißen Lola und manche Männer haben einfach keine Eier in der Hose, suchen aber ständig nach irgendwelchen Bezeichnungen für die vermeintlichen Unterschiede, die doch eigentlich Gemeinsamkeiten sind. Aber, verdammt, was braucht’s denn Bezeichnungen, wenn unsere gemeinsamen Unterschiede so viel spannender sind. So viel spannender, so viel interessanter und so viel cooler!

Bei mir gegenüber wohnen meine Nachbarn.

Einer von denen war bei ’nem Konzert der Stones in Dublin, damals, das war die Tour, als Keith noch, und Mick, das ist fast unglaublich, aber rückblickend, was haben wir damals, warte, ich schmeiß noch ’n Steak auf den Grill. Trinken wir doch ein Bier miteinander.